Charaktere
Cthulhu ist kein Spiel für Superhelden, Haudraufs oder wandelnde Hintergrundgeschichten. Hier geht es um den Schrecken des Unerklärlichen, um den schmalen Grat zwischen Neugier und Wahnsinn – und darum, wie ganz normale Menschen darauf reagieren. Die Kunst liegt darin, Figuren zu erschaffen, die in diese Welt passen, ohne dabei den Fokus zu verlieren. Hier ein paar Gedanken dazu, wie du das hinbekommst.
Zuerst brauchst du einen Grund, warum dein Charakter sich überhaupt auf übernatürliche Dinge einlässt. Niemand geht einfach so auf Monsterjagd oder untersucht düstere Geheimnisse. Vielleicht ist es die Neugier eines Historikers, der auf seltsame Symbole in einem alten Manuskript stößt. Oder eine Journalistin, die plötzlich Hinweise entdeckt, die auf etwas weit Größeres hindeuten, als sie erwartet hatte. Vielleicht ist es aber auch etwas Persönliches: ein düsteres Familienerbe, das wie ein Schatten über der Figur liegt, ohne dass sie es selbst versteht. Wichtig ist, dass die Motivation glaubwürdig ist und sich in die Geschichte einfügt. Es muss nicht immer spektakulär sein – es reicht, wenn es Sinn macht.
Was hingegen nicht passt, sind Figuren, die aus anderen Rollenspielgenres importiert wurden. Ein martialischer Kämpfer, der mit Muskelkraft jedes Problem löst? Brauchen wir nicht. Ein Dieb, der mit cleveren Tricks und ausgefeilten Plänen glänzt? Schön für ihn, aber in einer Welt, in der der Wahnsinn lauert, fehl am Platz. Cthulhu ist kein Spiel, bei dem es darum geht, wie gut dein Charakter in etwas ist, sondern darum, wie er mit Dingen umgeht, die jenseits seines Verständnisses liegen.
Dann ist da noch die Sache mit der Sterblichkeit. Figuren in Cthulhu sind keine unsterblichen Helden, sondern sterbliche Menschen, die in eine düstere, gefährliche Welt hineingezogen werden. Ihr Tod – oder ihr Absturz in den Wahnsinn – gehört zum Spiel. Das bedeutet, dass sie auch relativ einfach zu ersetzen sein sollten. Deine Figur sollte nicht so zentral für den Plot sein, dass ihr Verlust alles durcheinanderwirft. Denk also eher an eine Lehrerin, die zufällig etwas entdeckt hat, oder einen Antiquitätenhändler, der sich auf einmal mit den Folgen eines verfluchten Objekts herumschlagen muss. Ihre Geschichten sollten den Plot stützen, nicht dominieren.
Das Wichtigste bei Cthulhu-Charakteren ist, dass sie Menschen sind, keine Konzepte. Es geht um ihre Reaktionen, ihre Ängste, ihre Kämpfe mit einer Welt, die keinen Sinn mehr ergibt. Deine Figur muss keine komplexe Backstory haben, sondern einfach glaubwürdig sein. Weniger ist hier oft mehr. Und wenn sie scheitert – sei es durch Wahnsinn oder durch Tod – dann wird sie Teil der Erzählung. Genau das macht den Reiz aus: normale Menschen, die an etwas zerbrechen, das größer ist als sie. Und das ist, ehrlich gesagt, genau das, was Cthulhu so großartig macht.
Wie soll ich spielen?
In einer Cthulhu-Runde geht es nicht nur darum, kosmischen Horror zu erleben, sondern auch, die Atmosphäre der 1930er Jahre authentisch einzufangen. H.P. Lovecraft selbst war ein Mann, der sowohl von seiner Zeit als auch von seinem sozialen Umfeld stark geprägt war. Sein Werk spiegelt eine Welt wider, in der Förmlichkeit, gesellschaftliche Hierarchien und eine klare Sprachkultur die Grundlage des Umgangs miteinander bildeten.
Lovecraft war bekannt für seinen formellen Schreibstil und seinen Hang zu förmlicher Höflichkeit, selbst in privater Korrespondenz. Er sprach seine Brieffreunde fast immer mit Respekt und einer gewissen Distanz an, auch wenn er enge Beziehungen zu ihnen pflegte. Genau dieses Gefühl der Distanz und des Respekts macht den Umgangston seiner Zeit aus und sollte auch im Rollenspiel aufgegriffen werden. Charaktere, die sich in Lovecrafts Welt bewegen, sollten diesen Tonfall übernehmen: höflich, bedacht und stets darauf bedacht, den sozialen Gepflogenheiten zu entsprechen.
Stellt euch vor, wie ein Gelehrter aus Arkham oder ein Geschäftsmann aus Boston auftritt: Sie wählen ihre Worte mit Bedacht und vermeiden jede Art von Unhöflichkeit, besonders gegenüber Menschen, die sie für höher gestellt halten. Auch die Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Schichten sind wichtig. Ein Professor wird einen Dienstboten nicht einfach wie einen Kumpel ansprechen – aber ein höfliches „Danke, mein guter Mann“ zeigt dennoch Respekt, ohne die Hierarchie infrage zu stellen.
Besonders in einer Cthulhu-Runde trägt dieser Umgangston dazu bei, das Gefühl von Ordnung zu verstärken – eine Ordnung, die von den Mächten des Mythos gnadenlos zerfetzt wird. Je formeller und strukturierter die Welt wirkt, desto größer ist der Kontrast, wenn das Chaos einbricht. Die schiere Höflichkeit, mit der Charaktere versuchen, das Unbegreifliche zu rationalisieren, verleiht dem Horror eine zusätzliche Dimension. Schließlich geht es nicht nur um Monster aus den Tiefen, sondern auch darum, wie zerbrechlich die menschlichen Strukturen und Normen sind, wenn sie auf das Unbekannte treffen.
Auch die Sprache sollte diesen Geist bewahren. Kein "Ihr da drüben", keine lockeren Ausdrücke, die in einem Fantasy-Setting vielleicht passend wären. Stattdessen wird respektvoll gesiezt, und Titel wie „Herr Doktor“ oder „Frau Professor“ betonen die sozialen Gefüge. Es ist diese Mischung aus höflicher Distanz und förmlicher Zurückhaltung, die Lovecrafts Geschichten so beklemmend macht. Die Figuren klammern sich an ihre Manieren wie an einen Schutzschild – ein Schild, der am Ende oft zerbricht.
Das Rollenspiel in Lovecrafts Welt lebt davon, dass Charaktere sich ihrer Zeit und ihren gesellschaftlichen Schranken bewusst sind. Mit förmlichem Umgang, höflicher Sprache und einem Auge für gesellschaftliche Nuancen wird jede Szene zu einem Spiegel dieser verlorenen Welt – und der Schrecken, der sie zerstört, wirkt umso größer.
Zeig, was dein Charakter fühlt – ohne es zu sagen!
Stell dir vor, du sitzt in einer spannenden Szene und ein Mitspieler beschreibt fünf Minuten lang, warum sein Charakter gerade unsicher ist. Klar, die Gedankengänge mögen interessant sein – aber was sehen die anderen Figuren davon? Genau: nichts. Sie stehen nur da, warten und wundern sich, warum dieser Charakter so lange schweigt.
Was wir uns wünschen, ist eine andere Herangehensweise: Zeig, was dein Charakter fühlt, statt es lang und breit zu erklären! Nutze Mimik, Gestik und Körpersprache, um deine Figur lebendig wirken zu lassen. Beschreibe, wie sie die Schultern hängen lässt, nervös mit den Fingern trommelt oder ihrem Gegenüber einen eisigen Blick zuwirft.
Wörtliche Rede statt innerem Monolog
Wenn dein Charakter spricht, dann lass ihn wirklich sprechen – und zwar in wörtlicher Rede! Indirekte Rede wie „Mein Charakter sagt, dass er denkt, es könnte eine Falle sein“ ist nicht nur unnötig kompliziert, sondern auch viel weniger packend. Sag es direkt: „Das ist doch eindeutig eine Falle!“ So entsteht echtes Rollenspiel, bei dem andere Spieler spontan reagieren können.
Warum keine endlosen Gedankenmonologe?
Der innere Monolog mag spannend klingen, aber in der Praxis wirkt er oft wie ein Vortrag. Die anderen Figuren sehen oder hören davon nichts – und am Ende wird viel Zeit darauf verwendet, etwas zu beschreiben, das eigentlich gar nicht zur Handlung beiträgt. Stattdessen: Lass die Gefühle deines Charakters durch seine Handlungen und Worte sichtbar werden! Nervös? Beschreibe, wie er den Kragen seiner Jacke zurechtzieht. Wütend? Lass ihn mit der Faust auf den Tisch hauen oder zischen: „Jetzt reicht’s!“
Was bringt das?
Das Spiel wird lebendiger, die Szene dynamischer, und die anderen Spieler haben etwas, worauf sie reagieren können. Ein Charakter, der handelt, wirkt glaubwürdiger als einer, der nur überlegt, wie er sich fühlt.
Kurz gesagt:
- Zeige, was andere wahrnehmen können: Mimik, Gestik, Körpersprache.
- Sprich in wörtlicher Rede, nicht in indirekter.
- Lass den inneren Monolog weg und beschreibe stattdessen, wie dein Charakter sich ausdrückt.
Dein Charakter wird dadurch echter wirken, und das Spiel wird intensiver und immersiver. Also, Schluss mit dem Grübeln – zeig uns, wie dein Charakter tickt!